Übersichtskarte über die Lage des Lost Battalions
Am 3. Oktober sollten Patrouillen von LIR 122 gegen das „Amerikanernest” vorfühlen, die Lage klären und Anschluss an RIR 254 wiederherstellen. Dieses blieb jedoch ohne Erfolg. Erst die oben genannte Patrouille des Leutnants Ulrich brachte Klarheit. Er konnte telefonisch vom Gefechtsstand RIR 254 bei Charlepaux melden, dass es dem Regiment gelungen sei, die frühere Linie in der Hauptwiderstandlinie zu besetzen und die zwei amerikanischen Kompanien im Müllergrund völlig einzuschließen. Um 12.30 Uhr sollte der gemeinsame Angriff der beiden Regimenter starten. LIR 122 rückte von Westen und Süden näher an die eingeschlossenen amerikanischen Einheiten heran. Jetzt zeigten sich einmal mehr die Unwegsamkeit und die Unübersichtlichkeit des Geländes. Die eingeschlossenen Amerikaner erkannten nicht wie gering die Zahl ihrer Belagerer war.
Offiziersstellvertreter Brugger, Feldwebel bei 7./LIR 122, erzählt:
“Zum Angriff auf Charlepauxtal wurde mittags 12.30 Uhr angetreten. Stärke der Kompanie: 1 Offizier, 1 Offiziersstellvertreter, 1 Vizefeldwebel, 4 Unteroffiziere und 39 Mann. Nach 300 Meter stießen wir auf den Feind. Leutnant Maucher und ich waren vorausgeeilt. Ich sah einen feindlichen Doppelposten, rief Leutnant Maucher zu, doch schon krachte ein Schuss und Leutnant Maucher brach tot zusammen. Ich erschoss den Kerl und verwundete den zweiten Gegner schwer. Inzwischen kam die Kompanie und weiter ging unser vermeintlicher Siegeslauf. Doch der vor den feindlichen MG liegende Schützenschleier zog sich zurück, die Kompanie geriet in heftiges MG-Feuer frontal und flankierend. Anschluss nach rechts fehlte, deshalb wurde Vizefeldwebel Eppler mit zwei Mann nach rechts über den Kötherücken geschickt, um Anschluss mit den von dort vorgehenden Pionieren der 76. Reserve-Division herzustellen. Unterwegs stieß Eppler auf ein feindliches MG. Er nahm die Bedienung unter Feuer, worauf diese floh; das MG wurde eingebracht. Anschluss nach rechts war nicht zu erreichen. Da die 12. Kompanie infolge hoher Verluste zurückgehen musste, zog sich auch die 7. Kompanie 4.15 nachmittags in ihre Ausgangsstellung zurück. Der Rückzug im feindlichen Feuer war sehr schwierig. Um die Verwundeten zurückschaffen zu können, von denen manche 3-4 Schüsse hatten, mussten wir uns den scharf nachdrängenden Gegner mit Pistole und Handgranate vom Leib halten.”
Vernehmung des Gefreiten Pflugmüller 12./ Kompanie durch den K.T.K.
„Ich bin mit meinem leichten MG am südlichen Hang des Charlepaux-Baches westlich des Kolonnenweges 1 vorgegangen und bemerkte den Feind am nördlichen Hang des Baches. Wir bekamen starkes MG-Feuer. Vom Köthe-Rücken hörte man starkes Schießen von unserer 7. Kompanie, dagegen war vom Nachbarregiment und von den 76er Pionieren nichts zu sehen und zu hören, es wurde auch westlich und nördlich von dem Nest nicht geschossen. Der Gegner war von dort aus unbelästigt, so dass er seine sämtlichen MG gegen uns einsetzen konnte. 2 Mann meiner Bedienung sind vermisst, 2 Mann verwundet. Ich schoss, solange ich konnte, auf den Gegner und machte zwei Gefangene.”
Zusatz des K.T.K.: „Kommentar zum Scheitern des Vorstoßes überflüssig.”
Zur weiteren Verstärkung wurde das I./Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 252 aus Mouron herangeholt und traf am 04. Oktober morgens im Teufelsgrund ein, wo es zunächst zur Verhinderung eines Durchbruches des eingeschlossenen Feindes Aufstellung nahm.
Am nächsten Morgen erfolgte ein tief gegliederter Angriff der amerikanischen Truppen, der jedoch im Artillerie- und MG-Feuer zusammenbrach. Diese Angriffe wurden noch zweimal an diesem Tag wiederholt. Die Verluste bei den eingeschlossenen Amerikanern waren schwer, man könne das Schreien und Stöhnen der Verwundeten hören. Auf Befehl der 76. Reserve Division wurden sie zur Aufgabe aufgefordert, welches sie jedoch ablehnten. Die Verständigung wurde teilweise auf Deutsch geführt, da sich unter den amerikanischen Truppen viele Deutsch-Amerikaner befanden. Gefangene sagten aus, dass mehrere Hundert Amerikaner im Müllergrund säßen. Munition sei knapp, Verpflegung noch für drei Tage vorhanden.
Die Abriegelung des „Amerikanernestes” nach Osten und Norden durch die 12./ und 7./LIR 122 ging über die Kampfkraft des Regiments, welches noch sechs Kompanien einsatzbereit hatte. Dadurch war es auch nicht möglich, die erschöpften Kompanien der vorderen Linie abzulösen. Eine Ausräucherung durch Haubitzen musste, da die deutschen Truppen dadurch gefährdet worden wären, unterbleiben. Die Minenwerfer, welche bei der Abwehr der amerikanischen Angriffe mitgewirkt hatten, schickten auch ihre Geschosse in den Müllergrund, zu einer Zermürbung der Widerstandskraft waren sie aber nicht kampfkräftig genug.
Die Nacht zum 5. Oktober verlief wider Erwarten ruhig. Ein Versuch, gegen das „Amerikanernest” mit Handgranaten vorzugehen, misslang wegen starker MG-Abwehr. Nachmittags, gegen 3 Uhr, wird RIR 254 zum vierten Mal angegriffen, um die amerikanischen Soldaten zu entsetzen. Flieger versuchten den Eingeschlossenen Munition und Verpflegung zuzuwerfen, die aber größtenteils den Deutschen in die Hände fielen. Am nächsten Tag wurden zwei Flugzeuge abgeschossen, die den Amerikanern Säcke zuwerfen wollten.
Um die gegen das „Amerikanernest” eingesetzten Kräfte für die Verteidigung freizubekommen, andererseits um die Gefahr zu beseitigen, die in dem Vorhandensein von 600 Gegnern hinter den deutschen Linien bestand, die an Zahl ihren Belagerern um ein Vielfaches überlegen waren und jeden Versuch, ihnen eine Übergabe anzutragen, ablehnten, musste die 76. Reserve Division die Beseitigung des „Amerikanernestes” mit allen Mitteln befehlen.
Es kam noch dazu, dass vom AOK nach der Gesamtlage in Übereinstimmung mit der 5. Armee die Zurücknahme des linken Flügels der Division hinter den Teufels-Grund gefordert wurde; das war gleichbedeutend mit der Preisgabe des Amerikanernestes. Die 76. Reserve-Division beantragte daher die Zurücknahme noch aufzuschieben, besonders da der Kommandeur des RIR 254 Major Hünicken meldete, das Regiment fühle sich völlig Herr der Lage und wolle das „Amerikanernest” auf jeden Fall aushungern oder nehmen, wenn nötige Verstärkung käme. Die Division entschied sich für Letzteres und beantragte beim Generalkommando die Zuteilung eines Sturmbataillons.
Um dem Einsatz vorzuarbeiten, erfolgte ein Angriff mit Flammenwerfern, wodurch die amerikanischen Einheiten unter schweren Verlusten auf erheblich kleinerem Raum an den Südrand des Müller-Grunds zusammengedrückt wurden.
Am Morgen des 6. Oktobers werden die beiden völlig erschöpften Kompanien des LIR 122 durch zwei Kompanien, 2./ und 3./RIR 252 abgelöst. Sie standen sein 10 Tagen im Einsatz.
In der Nacht (7. Oktober) wurden die bekannten Bereitstellungsräume der amerikanischen Truppen, sowie Entladebahnhöfe mehrfach unter zusammengefasstes Artilleriefeuer genommen, weil Flieger- und Ballonerkundung regen Verkehr meldeten, was auf erneute Angriffe schließen ließ. Dichter Nebel am Vormittag behinderte jegliche Beobachtung. Bei den amerikanischen Einheiten blieb vorerst alles ruhig.
Gegen 9 Uhr vormittags brachen kurz hintereinander zwei nach starker Artillerievorbereitung gegen den rechten Flügel und Mitte der Division geführte starke amerikanische Angriffe unter schwersten Verlusten zusammen.
Im Gegenstoß, weit über die Hauptwiderstandslinie hinaus, machte RIR 252 einen Offizier und 26 Mann Gefangene und warf die Franzosen bis über die Straße Anloy – Binarville zurück. Fast gleichzeitig griffen die Amerikaner mit frischen Kräften RIR 254 an und wurde wiederum angewiesen.
Am Nachmittag des 07. Oktober machten die 1./ und 3./ RIR 252 mit 7./ RIR 254 und zwei Stoßtrupps mit Flammenwerfern des Sturmbataillon 2 einen erneuten Vorstoß gegen das “Nest” von Norden her.
Die Unterstützung durch das zugeteilte Sturmbataillon Nr. 2 wurde jedoch so gut wie hinfällig, weil nur ein Offizier und knapp 20 Mann erschienen, die mit Kraftwagen sofort nach vorne befördert wurden. Weitere amerikanische Gefangene wurden eingebracht, die aussagten, ihre Verluste seien ungeheuer, ihre Toten könnten sie nicht mehr begraben, Munition und Verpflegung sei trotz Fliegerabwurf knapp, denn seit zwei Tagen hätten sie nichts mehr erhalten. Viele von ihnen wollten sich ergeben, aber der Bataillons-Kommandeur sei mit allen Mitteln dagegen.
Die Division erbat nochmals Frist zur Erledigung des „Amerikanernests”, die vom Generalkommando jedoch abgelehnt wurde, weil die Lage bei der 2. Reserve-Division die weitere Zurücknahme der Verteidigung erforderte.
In der Nacht bog die Division daher befehlsgemäß den linken Flügel hinter den Teufelsgrund zurück, die H.W.L. verlief dort nun auf dem Köthe-Rücken.
Wochen später, als die Division als Wach- und Ordnungstrupp in Koblenz bis zur Übergabe an die amerikanischen Truppen blieb, fand sich Gelegenheit, Genaueres über die Zustände im „Amerikanernest” zu erfahren. Der amerikanische General Mitchel, sein chef engineer (General der Pioniere) Pegelow – (beides Deutsch-Amerikaner) und Colonel Rey traten den Deutschen gegenüber. Sie standen uns in den Argonnen gegenüber und äußerten sich offen und mit hoher Achtung ihnen gegenüber.
Zurück in die Argonnen: Die Zurücknahme des linken Flügels in die neue H.W.L. blieb von den amerikanischen Einheiten unbemerkt, stärkere Patrouillen verblieben in der alten Stellung. Gegen Mittag des 08. Oktober setzte in der Champagne ein schwerer Angriff ein, der auch die 76. Reserve-Division erfasste. Rechts, bei der 9. Landwehr-Division, verlor LIR 116 den Friedberg, eine beherrschende Höhe, die den Schlüssel zum Aisne-Tal bildete, wodurch die Stellung der Division stark gefährdet wurde. Gleichzeitig ging beim linken Nachbarn in den Argonnen, der 2. Landwehr-Division, der Humser-Berg verloren. In beiden Flanken bedroht, wurde auf höheren Befehl die Verteidigung abermals zurückverlegt.
Zwei Tage später galt die Abwehrschlacht in der Champagne und an der Maas als beendet. Insgesamt hatten Franzosen und Amerikaner 27 französische und 9 amerikanische Divisionen, damit rund 180.000 Infanteristen, gegen die deutsche 3. Armee eingesetzt.