Leutnant und Adjutant II./ Infanterie-Regiment Nr. 28
*28.10.1890 Aachen
Verwundet 18.02.1915 bei Perthes-lès-Hurlus
+04.04.1915 in Vouziers
Das Infanterie-Regiment Nr. 28 war im Februar 1915 während der Winterschlacht in der Champagne bei Perthes-lès-Hurlus eingesetzt.
Die Regimentsgeschichte schreibt:
Vom II. Bataillon mußten noch in der Nacht vom 16./17. Februar die 6./ und 8./ die zweite Linie des Reserve-Infanterie-Regiments 92 besetzen, während 5./ und 7./ Kompanie erst am Abend des 17. eingesetzt wurden. Der Abschnitt lag nordwestlich Perthes an der Arbrehöhe, die das Rgt. aus den Dezemberkämpfen zur genüge kannte.
Der Kompanieführer Lt. Mertsching (8./28) berichtet:
Nichts ist unangenehmer, als nachts eine unbekannte Stellung einzunehmen. Nach kurzem Umblick beim Morgengrauen fanden wir uns im Gelände zurecht. Bald setzte starkes französisches Artillerie-Feuer ein. Unser flacher Graben bot wenig Schutz, Unterstände waren nicht vorhanden. Glücklicherweise schoß der Franzose auf unsere Linie nur mit 7,5 cm Granaten, wahrscheinlich amerikanischer Fertigung; sie splitterten gut. Gegen Mittag ging er zum Trommelfeuer über, woraus wir auf einen bald folgenden Angriff schlossen. Damals trommelte der Franzose noch nicht tagelang, was nicht heißen soll, daß er mit Granaten sparte. Wir hatten schon morgens, gleich nach dem Einrücken in die Stellung, Verluste, inzwischen mehrten sie sich aber schmerzlich. Ein Fahnenjunker der 6./ Kp., Löher, der zwischen mir uns Lt. Kahlefeld lag, bekam einen kleinen Granatsplitter in den Bauch und wollte sich auf unser Anraten nach rückwärts begeben. Er kam nicht weit in dem tückischen Laufgraben. Ein Granate riß ihn nieder. Erst später haben wir gelernt, mit Feuer bedachte Laufgräben nicht zu benutzen, sondern frei über das Feld zu gehen. Wegen einzelner Leute verlegte der Feind das Feuer nicht von den befohlenen Zielen.
Lt. Kahlefeld ging der Tod des sehr nahe. Gleich darauf setzte auch der Angriff des Franzosen ein. Vor uns hatte er keinen Erfolg, doch schien es, als hätte er vor unserem rechten Flügel Boden gewonnen. Wir beteiligten uns dort an der Abwehr mit allen verfügbaren Gewehren.
Ein in der Nähe stehendes M.G. hatte seine Bedienungsmannschaft verloren. Einer meiner Melder bediente es zuerst allein, dann mit Hilfe von zwei Ersatzleuten bis zum Einbruch der Dunkelheit. Das französische Art.-Feuer lag bei Beginn des Angriffs verstärkt auf unserer Linie, was aber unser Schützen- und M.G.-Feuer nicht wesentlich zu beeinträchtigen vermochte. Doch mehrte das Art.-Feuer leider unsere Verlust in bedenklicher Weise. Bisher hatten die Leute noch in schnell gebuddelten Einschnitten Schutz finden können, der aber ganz wegfiel, sobald sie, auf der Brustwehr liegend, selbst feuerten. Zweifellos hatte der Franzose die Aufgabe unseres Grabens zum flankierenden rückwärtigen Flankenschutz erkannt. Ich gestehe es offen, dieses dauernde, gut liegende Art.-Feuer war unangenehm. Es macht mürbe. Erst bei Anbruch der Dunkelheit ließ es nach. Ich stellte die Verluste fest. Genaue Unterlagen habe ich nicht mehr, aber ich glaube, meine Kompanie hatte wohl rund 20 Tote und Verwundete zu beklagen, die 6./Kp. sicher ebensoviel.
Gegen 09 Uhr abends löste ich die 10./Kp. RIR 92 in vorderer Linie ab. Auch die 6./ Kompanie ging in die erste Linie. Die Lage war nicht besonders vertrauenserweckend. Nach rechts hatte ich keine Verbindung mit unserem I.R. 29. Der Franzose saß dazwischen. Ein nach vorn führender ehemaliger Laufgraben war ebenfalls zum Teil vom Feinde besetzt und beiderseits mit einer Sandsackpackung abgeriegelt. Links hatte ich Anschluss an unsere 6./ Kompanie. Nach Mitternacht (18. Februar) wurden die Kompanie-Fhr. zum Batl.-Kmdr. befohlen. 6./ und 8./ Kp. erhielten Befehl, um 6.20 Uhr morgens nach einer Art.-Vorbereitung von 20 Minuten die gegenüberliegenden, am Tage vorher verlorenengegangenen Grabenteile wiederzunehmen. 7./ und 5./ Kp. sollten unsere Stellung besetzen. Die Besprechung beim Batl.-Kmdr. dauerte ziemlich lange. Als ich zurück kam, war es höchste Zeit, die Komp. zum Angriff bereitzustellen. Die Züge wurden von zwei Vize-Feldwebeln und einem Unteroffz. geführt. Einige Granaten unser eigenen Artl. gingen in unseren Graben, was nicht gerade fördernd auf die Angriffsvorbereitungen wirkte. Ich hatte den Angriff so eingeteilt, dass der Zugführer des rechten Zuges mit seinen Leuten, die die Verbindung mit I.R. 29 störende Sappe nehmen sollte. Der Zugführer, Vzfw. Öllers, hatte die Stellung selbst erkundet, und wir wußten, daß sie stark besetzt war. Ich nahm die vor meiner Mitte liegende Sappe selbst und ließ den 2. Zug rechts von mir, den 3. im Anschluß an die 6./ Kp vorgehen. Pünktlich 6.20 Uhr morgens brachen wir vor. Es waren mir noch vier Pioniere als Handgranatenwerfer zugeteilt worden, wovon ich leider einen unterwegs vom Batls.-Gef.-St. bis zur Stellung verlor. Um nichts zu verzetteln, behielt ich die drei Pioniere bei mir (wie sparsam man damals noch mit Handgranaten war!). Gerade die vor mir liegende Sappe hatte ich für am stärksten gehalten. Das mag auch in der Nacht so gewesen sein, jetzt sah ich nur etwa 6 Mann, die sich nicht mehr zu Wehr setzen konnten; die Handgranaten saßen gut. Im weiteren Vorstürmen sah ich die 6./ Kp. im flotten Vorgehen. In diesem Augenblick setzte auch die Gegenwirkung ein. Vzfw. Öllers hatte wohl doch stärkeren Widerstand gefunden. Wir erhielten von dort her und von vorn rasendes Feuer. Nicht mehr weit vom französischen Graben stürzte der neben mir laufende Pion.-Unteroffz., unmittelbar darauf empfand ich einen dröhnenden Schlag auf den Kopf. Das alles ging schneller als ich es hier niederschreiben kann. Ich mußte wohl hingefallen sein, denn ich fand mich nachher im Drahthindernis wieder. Ein Gewehrschuß aus nächster Entfernung hatte mir eine starkblutende Kopfwunde beigebracht. Nachdem ich mir unter Aufopferung einiger Fetzen aus meiner Hose und aus meinem Mantel aus dem Draht gearbeitet hatte – das feindliche Inf.-Feuer hatte nicht nachgelassen – und es mir klar war, wo ich mich befand, rollte ich mich in die nächste Deckung. Es war der gewonnene französische Graben.”
Bei dem Angriff war auch Lt. Kalefeld verwundet worden. Aus dessen gleich nach seiner Verwundung niedergeschriebenen Erinnerungen sei nachfolgendes wiedergegeben: “Am 18. Februar früh 6 Uhr wurden alle Komp.-Führer des Batls. zum Batls.-Führer Hptm. Dobberke gerufen, wo uns ein Sturmbefehl für 7.15 Uhr vormittags zuging. Es sollten stürmen die 8./, meine (6./) und ein Zug der 5./ Kp., anschließend an 8./ 29. Jede Komp. erhielt vier Pioniere mit Handgranaten zugeteilt. Punkt 07.15 Uhr verlassen wir nach viertelstündiger Artl.-Vorbereitung den Graben. Die Komp. folgt mir, meine Pioniere neben mir. Wir kommen auf diese Art ca. 50 m vor, werden dann aber aus dem uns flankierenden Laufgraben mit einem derartigen Feuer überschüttet, daß alles in meiner nächsten Umgebung fällt und das anfangs angestimmte Hurra immer schwächer wird und allmählich ganz verstummt. Ich erreiche ein Granatloch und will mich dort verschnaufen. Da sehe ich, wie ich mich umschaue, daß hinter mir zwei Pioniere mit Kopfschüssen gefallen sind, daß links von mir niemand mehr und rechts nur noch eine kleine Anzahl von der 8./ Kp. folgt. Während ich mich in das Granatloch legte oder während ich darin lag, fühlte ich, daß etwas an mein Schulterblatt fliegt. Ich glaubte, es sei ein Stein gewesen und fühlte zunächst auch noch keine Schmerzen. Da ich aber sehe, daß mit den paar noch übriggebliebenen Leuten nichts mehr zu machen ist, gehe ich mit diesen sprungweise von Granatloch zu Granatloch zurück, wobei ich über manchen bei den letzten Stürmen gefallenen Soldaten hinwegklettern muß.
Am Wegekreuz traf ich den Fahnenjunker Unt.-Offz. Meyer von der 5./ Kp. der beim Sturm einige Kolbenschläge von einem Franzosen erhalten, diesen schließlich mit der Pistole erschossen hatte. Meyer erzählte, daß meine Komp. am linken Flügel in den feindlichen Schützengraben gelangt sei, sich darin aber nicht habe halten können.”Der genommene Graben war auf die Dauer nicht zu halten. Wegen des wahnsinnigen Art.-Feuers mußten ihn die beiden Kompanien aufgeben. Nach starkem Trommelfeuer gingen um 02 Uhr nachmittags die Franzosen ihrerseits zum Angriff vor und drangen auch in einen Teil unserer Linie ein. Im sofortigen Gegenstoß mit aufgepflanztem Seitengewehr warfen unsere Kompanien sie wieder hinaus, ja, es gelang ihnen sogar, ein vorher von den Franzosen besetztes Grabenstück, den sogenannten “Blinddarm” zurückzugewinnen. Um 04 Uhr nachmittags versuchte der Feind einen neuen Angriff, den unsere Artl. vereitelte.
In der Frühe des 19. Februar wurde das II. Btl. durch das R.I.R. 78 abgelöst, um am Abend links des I. Batls. in Stellung zu gehen. Bei der Ablösung wurde die 7./ Kp. vergessen. Sie hatte am 19. Februar noch mehrere heftige Angriffe, die bereits am frühen Morgen einsetzten, abzuwehren und erledigte ihre Aufgabe trotz schwerer Verluste unter ihrem tapferen Führer Lt. Leisse mit großem Schneid und Erfolg.
Dabei zeichnete sich der Fahnenjunker Müller dadurch aus, daß er im stärksten Feuer von den Nachbarkompanien Munition herbeischleppte, die der Komp. auszugehen drohte. Erst in der Nacht vom 19./20. Februar trat sie, nur noch 34 Mann stark, zum Regt. zurück.
Das III./Batl. stand am 17. Februar als Reserve der 39. I.B. beim Forsthaus. 11./Kp. erhielt den Auftrag, ein von den Franzosen besetztes Grabenstück zu nehmen. Da sie schon beim Anmarsch in starkes Sperrfeuer geriet, mußte sie unter starken Verlusten von dem Angriff absehen. Am 18. und 19. Februar litt das Btl. unter starkem Artl.-Feuer. Inf.-Angriffe erfolgten nicht. Am Abend des 19. Februar wurde es durch R.I.R 78 abgelöst und erhielt den Befehl, sich dem Regt. 28 wieder zur Verfügung zu stellen. Ja, wo war der Regt. Stab? Unteroffz. Knierim 10./28, gelang es nach langem Suchen, ihn in der Karbolschlucht zu finden. Vom Suchen im schweren Artl.-Feuer erschöpft, mußte er den Weg noch einmal zurücklegen, um dem Batl. den Regts.-Befehl zu überbringen. Dabei gelang es ihm auch, dem Batl. die Feldküchen zuzuführen, die das Batl. in der vergangenen Nacht vergeblich gesucht hatten. In einem beschwerlichen Nachtmarsche gelang das Batl. zur Karbolschlucht, wo es zunächst Regts.-Reserve wurde.
Die Kämpfe des Regts. vom 16. – 19. Februar sind ein Teil der “Schlacht bei Perthes-les-Hurlus und Beausejour”. Das Regt. hat in wenigen Tagen sechs Offz. und 583 Mann an Toten, Verwundeten und Vermißten zu beklagen.
In den Kämpfen wurde auch Lt. von Montigny verwundet. Wie und unter welchen Umständen er den Weg in die Heimat fand, ist unbekannt.
Joseph Freiherr von Montigny liegt begraben auf dem Waldfriedhof in Aachen.