Heinrich Wilhelm Koch

1896-1916

Ein Tagebuch

Die nachfolgenden Seiten sind Heinrich Wilhelm Koch und seiner Geschichte gewidmet. Mit Hilfe von zwei sorgsam geführten Tagebüchern, Fotos, Dokumenten sowie zahlreich bereitgestellten Informationen seiner Nichte Béatrice Koch, lässt sich sein militärisches Leben auch weit über 100 Jahre später perfekt nachvollziehen.

Das in Kurrentschrift geschriebene Tagebuch erstreckt sich über insgesamt 179 eng beschriebene Seiten, davon möchten wir hier einen großen Teil vorstellen. Sein Werk beschreibt die Zeit als Rekrut, die Kämpfe in der Champagne, im Osten und letztendlich die Teilnahme an der Schlacht von Verdun.

Zeitweise fiel das Transkribieren schwer und manche Wörter konnten nicht vollständig erkannt und somit manche Lücke leider nicht geschlossen werden. Einige Begriffe sind korrigiert, ansonsten haben wir den Text so übernommen wie er im Original verfasst ist. Die uns vorliegende Regimentsgeschichte und Teile des Kriegstagebuches seiner letzten Batterie, leisteten begleitend große Unterstützung.

(Anmerkungen unsererseits wurden in Klammern beigefügt.)

Einleitung von Halbbruder und seiner Nichte:

MEIN HALBBRUDER

Dass er gelebt hat, weiss ich von Kindheit an. Mit wieviel Liebe und Trauer hat unser Vater von ihm erzählt! Wieviele seiner Reagenzgläser hab ich zerbrochen und Mineraliensammlungen zerstreut! Aber entdeckt habe ich ihn erst zweiundsechzig Jahre nach seinem Tod – als ich aus einem Koffer sein halbvergessenes Bildnis hervorzog. Den Rahmen hatte er anno fünfzehn im Feld aus russischen Birkenholzzweigen geschnitzt und auf der Rückseite stand geschrieben:

„Lieber Bruder – zu deinem Geburtstag!“

Ein Jahr später, fast Tag für Tag, war der unter Pickelhaube und Tornister, gestiefelt und Gewehr bei Fuß auf dem Bild noch knabenhaft scheinende Jüngling im Toben der Schlacht um Verdun zum Manne gereift… und allen Scheines ledig – tot!

Bruder, der du ewig jung im alten Gotte lebst, gib, dass dein Gedächtnis nun auch in meinem goldnen Herbst so lebendig sei wie ihm, der uns beide trug: erst in Lenden, dann im Sinn wie zum Höhenflug!

Paul-Georges Koch (aus seinem letzten Gedichtband „Herbstgold“)

Mein Vater behauptet, er hätte seinen Halbbruder erst 1978 entdeckt, anlässlich seines Umzugs aus dem Münstertäler Pfarrhaus in dem er 20 Jahre lang gelebt hatte. Ich dagegen liebte es als 13 jährige schon, auf dem Speicher oder in alten Möbeln herumzustöbern. So fand ich in 1967 Heinrichs Tagebuch im Schreibtisch von meinem 1957 verstorbenen Großvater und hatte mir vorgenommen, das Tagebuch zu entziffern. Mich bewegten besonders die letzten Zeilen, mit denen Heinrich das erste Heft beendete: „Ich will dieses Tagebuch hiermit schließen, da es durch oftmalige Benutzung stark gelitten hat. Möge es mir erhalten bleiben, so lange ich lebe und falls es mir vom Schicksal bestimmt ist, auf dem Schlachtfeld fern von der Heimat zu sterben, so möge es meinen Angehörigen eine letzte Erinnerung sein.“ Die zahlreichen deutschen und französischen Soldatenfriedhöfe aus dem Ersten Weltkrieg im Münstertal hatten zweifellos in mir das Interesse an das Schicksal der jungen Opfer des Krieges geweckt. Heinrichs Tagebuch folgte mir in all meinen Umzügen aber erst letztes Jahr konnte ich dank der Hilfe von Oliver Scheer per Internet, das Entziffern des Tagebuchs vollziehen. Ihm sei herzlichst gedankt!

Béatrice Koch

Tagebuch
Seite aus dem Tagebuch von Heinrich Wilhelm Koch

Heinrich wurde am 8. August 1896 in Buchsweiler (Bouxwiller, Bas-Rhin) im damaligen Elsass-Lothringen geboren. Die Mutter gebürtig aus Linx/Rheinau, der Vater stammte aus Woerth a/Sauer (Wœrth). Während dieser Soldat im Schleswig-Holsteinischen Ulanen-Regiment Nr. 15, einem preußischen Verband war, diente der Großvater, ein Sattlermeister,  in der Armee Frankreichs.

Henri Koch
Großvater Henri Koch als Kavallerist in der Uniform des 5. Régiment de Lanciers
Heinrich Koch

Heinrichs Militärdienst begann am 3. Oktober 1914 als Einjährig-Freiwilliger im

1. Rekruten-Depot des Badischen Fußartillerie-Regiments Nr. 14 in Straßburg. Somit musste sein gehegter Wunsch, das Studium der Chemie, erst einmal auf unbekannte Zeit verschoben werden.

Seit Jahresbeginn 1915 führte er Tagebuch und lässt uns somit fast von Beginn an, an seiner Ausbildungszeit in der Kaserne und  auf den Übungsplätzen teilnehmen. Er gibt uns Einblicke in den Alltag eines jungen Rekruten während der ersten Kriegsmonate und zeigt uns, mit welchen Gedanken er sich befasste, welcher Geist in jener Zeit existierte. Der junge, lebensfrohe und nicht weniger patriotische Soldat nimmt uns mit auf das Schlachtfeld der Champagne, in die Weite Rußlands, in die Heimat und letztendlich in die Stellungen auf dem Ostufer der Maas.

Das Tagebuch ist in folgende Abschnitte gegliedert:

Der letzte Eintrag im zweiten Heft vom 19. Oktober 1916

Viel schreiben kann ich nun mal nicht. Das Leben ist manchmal etwas eintönig, aber es hat doch seinen Reiz. Eine neue Batterie 320 mit russischen 10 cm Kanonen besetzt mit uns den Beobachtungsstand. Der ist nun glücklicherweise soweit ausgebaut. 2. Ausgang, gute Pumpe, ein zweiter Boden. Jetzt fehlt nur noch ein Ofen. Eine Türe ist auch schon draußen angebracht. Als er noch in Bau war besetzten wir den alten Stand von 1/4, der war aber ziemlich kalt und schmierig. Das Wetter draußen ist augenblicklich nicht besonders verlockend. Es regnet fast ständig. Ein Glück, daß wir ein schönes Haus haben mit einem warmen Ofen, da sieht sich das Regenwetter schon besser an und wir könnens ertragen. Ich wohne nun mit Röhm zusammen, er ist Vize geworden. Feldw. Kann u. Kobele sind Offz. Stellv. und wohnen woanders. Heute wird Ltnt. Katzer wieder für Unterhaltung sorgen. Wir haben nämlich seit einiger Zeit Unterricht, die Einjährigen. Ist ganz interessant. Er hat auch schon verschiedene Aufgaben gestellt. Abends wenn wir dann in unsrer Bude beim Lampenlicht sitzen, fängt die Gemütlichkeit an. Da spielen wir Karten, trinken Bier, wenn wir welches haben und machen Witze.

Wenig später befindet sich Heinrich wieder auf vorgeschobener Beobachtung im Fort Douaumont, um von dort aus das Feuer der Batterie zu lenken. Der genaue Ort der Beobachtungsstelle ist leider nicht erwähnt. Das Kriegstagebuch der Fußartillerie-Batterie 783 berichtet am 23. Oktober 1916:
155 Schuß auf Sperrziel
25 Schuß auf Planquadrat 2765

Vizefeldwebel Röhm (Karl) gefallen, Unteroffizier Koch schwer, Kanonier Oehler (Rudolf) leicht verwundet.

Unmittelbar neben Vizefeldwebel Röhm und Koch schlug eine französische Granate ein. Während Röhm auf der Stelle fiel, wurde Heinrich durch Splitter in der Hüfte verletzt. Er wurde in das Reserve-Lazarett in Peuvillers eingeliefert, welches in der Kirche sowie in der Mairie untergebracht war. Dort erlag der junge Unteroffizier seinen Tags zuvor auf dem Douaumont erhaltenen Wunden.

Kirche Peuvillers

Wenige Wochen nach der Erstbestattung auf dem Soldatenfriedhof Montmedy, erhielt die Familie die Erlaubnis seinen Leichnam zu überführen. Am 9. Januar 1917 wurde Heinrich auf dem Friedhof an der Ladhofstraße in Colmar neben seiner bereits verstorbenen Mutter bestattet. Das heutige Grab existiert nicht mehr, ebenso ließen sich keine Informationen ermitteln, warum er in Montmedy und nicht auf dem Soldatenfriedhof Peuvillers, in Sichtweite des Lazaretts bestattet wurde. Leider konnte auch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge kein Licht ins Dunkle bringen, ein Eintrag existiert nicht.

Möge dieser Bericht an ihn erinnern.

Heinrich Wilhem Koch
8. August 1896 – 24. Oktober 1916