„Ich möchte ihre Meinung zu dem Vorschlag hören, auf der Rückseite des großen Minentrichters auf der Höhe 285 im Argonnerwald ein großes Holzkreuz zu setzen. Dieses Kreuz, in der Todeszone zwischen den feindlichen Linien, sollte in französischer und deutscher Sprache die Beschriftung tragen:”
“Allen Toten der Kämpfe in den Argonnen 1914 – 1918”
Dieser Auszug aus einem Brief des Generals Rouyer, Vorsitzender des Frontkämpferbundes der Argonnen, sollte einen neuen Höhepunkt der deutsch-französischen Aussöhnung im Raum der Argonnen einleiten. Wie kam es dazu?
Im September 1914 begann die deutsche Führung nach dem großen Rückzug von der Marne am Nordrand der Argonnen, einem Höhenzug mit steil abfallenden Hängen, versumpften Taleinschnitten und dichtem Unterholz, der sich westlich von Verdun, von Vouziers im Norden bis nach Bar-le-Duc im Süden hinzieht.
Im Spätherbst 1914 begann die deutsche Führung mit kleineren Vorstößen in den Argonnerwald einzudringen. Es sollte bis 1918 eine der verlustreichsten Kampfstätten der gesamten Westfront werden. Im Jahre 1915 versuchte man mit einem Großangriff weiter nach Süden vorzustossen, um die wichtige Strasse von Varennes-en-Argonne nach Four-de-Paris in Besitz zu bekommen. Die Offensive blieb auf der Höhe 285 den angrenzenden Höhenzügen „Fille Morte” und „Bolante” hängen. Starke Gegenwehr der französischen Truppen verhinderten ein Weiterkommen.
Auf diesen Höhenzügen entwickelte sich in den folgenden Jahren ein mit aller Härte geführter Minenkrieg. Man trieb Stollen bis unter die Stellungen des Gegners, füllte sie mit Sprengstoff und brachte diese Ladungen zur Explosion. Schwere Verluste waren die Folge.
Die deutschen Soldatenfriedhöfe in den Argonnen mit über 27.000 Toten lassen die Verluste nur ahnen. Tausende von Toten konnten nie geborgen werden. Die französischen Friedhöfe weisen ähnliche Zahlen auf. Auch die Amerikaner hatten 1918 bei ihrer Herbstoffensive schwere Verluste zu beklagen.
1964 übernahm der Landesverband Bayern des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Rahmen der Aktion „Versöhnung über den Gräbern” die Wiederinstandsetzung des deutschen Soldatenfriedhofs Cheppy mit 6.125 Toten. Hunderte von Soldaten und Jugendlichen nahmen an diesen Arbeitseinsätzen des Volksbundes teil. Neben ihrer Arbeit auf dem Friedhof suchten und fanden sie den Kontakt zur Bevölkerung am Unterkunftsort Varennes-en-Argonne, einer kleinen Stadt, die während des Ersten Weltkrieges total zerstört wurde. Sie bauten Ressentiments ab und münzten sie in Freundschaft um. Die aus diesem neuerworbenen Vertrauen entstandene Partnerschaft mit der Gemeinde Petershausen in Bayern war der schönste Lohn für jahrelange Mühen.
Zu den ersten Kontakten gehörte auch die Teilnahme an den alljährlichen Gedenkfeiern zu Ehren der Gefallenen auf der Höhe 285, zu denen jeweils Hunderte ehemaliger Frontkämpfer aus dem Argonnenabschnitt aus ganz Frankreich kamen. Aus dieser Teilnahme entwickelten sich im Laufe der Jahre so gute Verbindungen, dass man 1967 von unserer Seite her den Vorschlag machen konnte, auch die ehemaligen deutschen Argonnenkämpfer zu diesen Feierlichkeiten einzuladen.
1968, zum 50. Jahrestag des alliierten Sieges von 1918, kam erstmals eine deutsche Abordnung von den verschiedensten ehemaligen Truppenteilen, herzlich von ihren ehemaligen Gegnern begrüßt. 1968 ehrten auch erstmals die Franzosen ihre gefallenen Gegner durch Niederlegen eines großen Blumengebindes auf dem deutschen Soldatenfriedhof Cheppy. 1971 waren es schon einige Hunderte der Veteranen, die unseren Gefallenen die letzte Ehre erwiesen.
Aus dieser Vorgeschichte heraus war der Brief des Generals Rouy ein erneuter Vertrauensbeweis. Der Bezirksverband des Volksbund in Koblenz wandte sich an die Bundeswehr. Die 4. Kompanie des Panzerbataillons 144 in Koblenz unter der Führung des Hauptmann Fey erklärte sich spontan bereit, diese Arbeit zu übernehmen. Zwei Westerwälder Eichen wurden zugeschnitten, geglättet und imprägniert, Schablonen für die Beschriftung angefertigt, die Beschriftung in das Holz eingeschlagen und der Querbalken eingepasst.
Ein Lastwagen der Bundeswehr übernahm im Rahmen einer Fahrt für das rheinland-pfälzische Volksbund-Jugendlager in Bapaume bei Arras die Überführung nach Frankreich. Auf der Höhe 285 angekommen, begann die schwere Arbeit das Kreuz zum Standplatz zu bringen und aufzustellen. Bei strömenden Regen hoben 10 Soldaten das Kreuz vom Wagen und transportierten es über einen durch die Nässe aufgeweichten Fußweg um den Trichterrand herum zum Aufstellungsort. Hier wurde es montiert und dann mit einem Flaschenzug in die von der französischen Armee zwischenzeitlich gefertigte Halterung hinein gehoben. 5 Stunden harter Arbeit waren erforderlich bis das Kreuz stand. Bei 5,50 m Höhe und 2,60 m Breite hatte es ein Gewicht von fast einer Tonne.
Sonntag, 4. Juli 1971: Hunderte französischer und deutscher Frontkämpfer versammeln sich bei brütender Hitze auf der Höhe 285 zur feierlichen Gedenkmesse. Auch die Bevölkerung der umliegenden Orte ist zahlreich erschienen. Traditionsfahnen der französischen Regimenter beleben das Bild. Hohe Vertreter des Staates und des Militärs sind anwesend. Der Bischof von Verdun ist gekommen. Von der anderen Seite des Sprengtrichters leuchtet das hoch aufragende Kreuz herüber. Die Messe stand ganz im Zeichen des Kreuzes. Versöhnung und Frieden im Geiste der christlichen Nächstenliebe, aber auch als Auftrag waren das Thema der Predigt.
Nach Abschluss der religiösen Feier nahmen die Fahnenträger im Halbkreis um das Kreuz Aufstellung. Kränze und Blumengebinde wurden von den verschiedenen Delegationen niedergelegt. Französische Soldaten spielten die „Sonnerie aux morts”. Unsere ehemaligen Frontkämpfer sangen das „Lied vom guten Kameraden”. So manchem dieser alten Kameraden standen die Tränen in den Augen.
General Rouyer betonte anschließend in einer kurzen Ansprache die Bedeutung dieses Tages. Er forderte alle Anwesenden auf, sich über die Gräber der Gefallenen hinweg die Hand zur Versöhnung und Freundschaft zu reichen und dafür zu wirken, dass ein vereintes Europa die Wiederholung eines solchen Geschehens unmöglich macht.
Nach Beendigung der Feierlichkeiten ließ sich General Rouyer eine Delegation der 4. Kompanie des Panzerbataillons 144 unter der Führung von Hauptmann Fey vorstellen und dankte mit herzlichen Worten für diese Friedenstat.
Aus Gesprächen nach der Einweihungsfeier wurde ganz besonders seitens der französischen Teilnehmer dieser Initiative, Respekt, Lob und Anerkennung gezollt.
Immer wieder wurde versichert, wie wertvoll gerade diese Kontakte sind und dass man sich bemühen werde, den Geist dieses Treffens weiter zutragen. Ein 80-jähriger schwer kriegsbeschädigter Franzose formulierte es so: ” Wenn wir uns hier schon vor 45 Jahren im heutigen Geiste getroffen hätten, wäre das Unglück der II. Weltkriegs vielleicht nicht geschehen und ich hätte während meiner Zeit in der Widerstandsbewegung mein Bein nicht verloren.”
Aus einem Bericht des Volksbundes, Bezirksverband Koblenz